Mittwoch, 13. Mai 2009

Back in Time

Was mich, offen gesagt, immer wieder am meisten stört sind diese ganzen Formalitäten. Hier ein "Sire", dort ein "Euer Durchlaucht", und wenn man mal einen Scherz wagt, kann einem das gleich den Kopf kosten.
"Ich danke vielmalst und untertänigst, euer Durchtriebenheit!"
Was ja nicht heisst, dass man es deswegen lassen muss. Und seine durchlauchtigste Umtriebigkeit, der Lamoral II Claudius Franz von Thurn und Taxis, Generalerbpostmeister, war ausreichend motiviert, nicht nachzufragen:
"Um unseres Ruhmes willen bei jenem Herrscher fremder Lande," sprach der junge Schnösel und reichte mir die handschriftliche Kopie des Erblehens, das er seit seiner Volljährigkeit im Jahre 1646 zwei Jahre zuvor in Nachfolge seiner Mutter, Gräfin Alexandrine, innehatte.
Ich verbeugte mich angemessen tief.
"Und dero Uniform...."
Ich erhob mich - das schon wieder...
"...dunkelblauen Mantel, grosse Goldknöpfe, das Horn und goldschimmernde..."
"Epauletten... kleines, teutsches Dorf, bedeutungslos...wir sehen uns also bei der Kaiserwahl Leopolds I.... also wir werden uns... gesehen... ich muss jetzt gehen."
Und so kehrte ich mit meinem Mantel den Boden, rückwärts gehend und angemessen katzbuckelnd, bis ich endlich durch die Türe hinaus war und wieder geradeaus laufen konnte - eiligst eiligst zum Postreiter, der im Hof dabei war, los zu reiten.
"Halt!" Damit kriegt man sie jedes Mal. Er starrte mich an, ich rannte stracks auf seinen Postbeutel zu. "Noch ein Dokument vom Lamoral," begründete ich meine Eile und öffnete die Tasche. Und dann kam der wichtigste Teil:
"Oh kuck mal, ein fliegendes Nashorn!"
Aber er starrte weiter mich an. Hatte noch nie ne Frau im Postmantel gesehen... also: Fingereinsatz. "Da oben!"


Endlich kuckte er himmelwärts und auch lange genug, damit ich....

...durch die Posttasche....

...verschwinden konnte. Zurück in diese Zeit... zurück zum Herrscher entfernter Lande...aus dem Briefkasten...zum

kleinen, vorlauten Schüler. Kurz den Staub abklopfen und dann
*Klingel*

Nach einem Moment macht dann eine Dame auf, die ganz zweifelsfrei die Mutter des Blagen sein dürfte.
"Lieferung für ihren Sohn." In meinem besten hochoffiziellen Ton - und halte die zusammengerollte Kopie des Erblehens hoch.
"Rooobert?!" Ein süsses Stimmchen, wie Donnerschall aus Blechtrompeten. "Und was ist das für ne Lieferung?"
"Es geht um das Schulthema - Geschichte des 30jährigen Krieges..."
"Aha... und wer sind Sie?"
Eine kurze Kunstpause bevor man sich anschickt, so unpassende Fragen zu beantworten, hilft meistens... hier ist es dann so, dass nach wenige Sekunden Schlurfen und Klappern aus dem Hausflur hinter klingt.
"Waslos?"
Die süße Stimme des verzogenen Knaben.
"Die Unterlagen für den Geschichtsunterricht zum 30 Jährigen Krieg - westfälischer Frieden und die Post..."
Weiter komme ich nicht - denn was ich sehe, verschlägt mir den Atem.
"30 Jähriger Krieg - wann war das denn. Wir machen Weimarer Republik in...."
Und dann sieht er mich. Und ich ihn: deutlich älter, mit Flaum um den Mund...und starrt mich an mit dieser charmanten Mischung aus Dummheit und Unverständnis.
"Welches Jahr haben wir?"
Wenn Kinnladen runterklappen könnten - aber die Mutter: gewohnt unsinnige Fragen zu beantworten:
"2009".
Kinnladen können aber nicht runterklappen - macht nichts: ich bin sprachlos.
"Nochirgendwas?"
Und fast wäre die Tür geschlossen gewesen - ich hatte nur meinen Fuß dazwischen:
"Nicht 2007?"
"Nein."
"Gabs in letzter Zeit Probleme mit der Post?"
"Nö..." spricht der junge Mann "...nur wenn sie mal kommt. Kommt aber nicht oft..."
"Hier läuft irgendwas verflucht schief!" - Ich
"Nehmen Sie bitte ihre Hand von der Tür." - Die Mutter.
Ich schau sie an - und Bumm ist die Tür zu. Und dann sehe ich mich zum ersten Mal richtig um.
Und was ich sehe, gefällt mir nicht. Das Haus gegenüber - ausgebrannt. Menschen, die vorbeigehen: verschreckt, verängstigt...
"Hier läuft irgendwas verflucht schief..."

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